Ein perfektes Jahr
01.09.2016: Jonah Mostler, PPP-Stipendiat im Austauschjahr 2015/2016, schreibt über seine Erfahrungen in Grand Forks, North Dakota
Mein Auslandsjahr begann mit einer sehr frühen Fahrt zum Flughafen Tegel. Ich wusste noch nicht, was auf mich zukommen und was mich erwarten würde. Rund 27 Stunden später war es dann endlich soweit. Etwas müde doch voller Vorfreude stieg ich aus dem Flugzeug, der Delta Airline in Grand Forks, North Dakota, einem mit nur rund 750.000 Menschen bevölkerten Staat.
Grand Forks war gleichzeitig die Stadt, in der ich mein Auslandsjahr verbringen würde. Dort nahm mich meine Gastfamilie in Empfang. Sie hatten ein großes Schild mit meinem Namen und Bildern vorbereitet, damit ich mich auch gleich willkommen fühlen sollte. Das tat ich auch und so fuhren wir zu dem Haus, welches über das nächste Jahr mein Zuhause sein würde. Im Auto hatten wir unsere erste etwas holprige Unterhaltung auf Englisch und ich lernte mein erstes neues Wort: "Billboard". Es meint Werbetafel. Diese waren mir gleich ins Auge gefallen, da sie mit riesigen Werbesprüchen für Dinge warben, die man in der Stadt tun und lassen konnte, mir jedoch das englische Wort für sie fremd war.
Wie eine richtige Familie
Für den ersten Abend hatte meine Gastfamilie ein gemeinsames Essen geplant, das ich noch immer genau vor Augen habe. Hiermit ging mein erster Tag zu Ende und ich schlief wie ein Stein bis zum nächsten Morgen. Von diesem Moment an fingen ich und meine Gastfamilie - bestehend aus Lonny, Carol, ihren Töchtern Ana und Lena - nicht nur an, uns immer besser kennen zu lernen, sondern auch zusammenzuwachsen wie eine richtige Familie.
Unser Alltag war bestimmt von Schule und Arbeit, wir standen morgens so gegen sechs Uhr auf, aßen gemeinsam Frühstück, welches auf meinen Wunsch oftmals aus einem Erdnussbutter-Marmeladen Sandwich bestand. Beim Frühstück stand nicht nur die Tagesplanung an, wir unterhielten uns auch über Politik und andere wichtige Themen. So gegen 7:20 Uhr machten wir uns auf den Weg zur Schule, der meist mit dem Auto bewältigt wurde. Dann gingen wir alle unseren Pflichten nach. Wir trafen uns gegen sechs Uhr abends wieder zu einem gemeinsamen Abendessen, das meine Gastmutter trotz ihrer Arbeit stets liebevoll und gerne zubereitete.
Wir alle hatten uns jeden Tag viel zu berichten, so ging uns niemals der Gesprächsstoff aus. Danach traf man sich entweder mit Freunden oder schaute zusammen Fern, spielte Karten oder verbrachte den Abend mit anderen interessanten Aktivitäten. Integration durch Sport
In die Schule wurde ich gleich in der ersten Woche meines Aufenthaltes involviert, auch wenn sie noch gar nicht angefangen hatte. Möglich machte es mir der Sport. Während mir meine Gasteltern die Stadt zeigten, konnte ich auch jeden Tag im Football-Training aktiv werden. Obwohl man mir wahrscheinlich angesehen hat, dass ich nicht sehr viel von dem verstand was ich tat, haben sich die anderen im Team sehr offen und hilfsbereit gezeigt und mich schnell integriert. So konnte ich mich mit der in den ersten Tagen wahrscheinlich größten Herausforderung befassen: Dem Behalten aller Namen, derer, die mir vorgestellt wurden und sich mir vorstellten. Manchmal hat es leider nicht geklappt aber nachfragen wurde mir auch nicht verübelt. So war ich nach wenigen Tagen schon gut aufgenommen.
Als die eigentliche Schulzeit dann am darauffolgenden Montag begann hatte ich schon ein paar Freunde gefunden, an die ich mich halten konnte. Jeder Schultag bestand aus sieben Stunden, welche im Großen und Ganzen den einer Deutschen Schule sehr ähnelten. Mit 50 Minuten, 5 Minuten länger als die deutschen Schulstunden. Die Besonderheit bestand darin, dass man jeden Tag die gleichen Fächer hatte und diese nur im Semestertakt variierten. Dank der angebotenen Vielfalt hatte ich viel Spaß an Fächern wie Holzarbeiten, Kochen und Philosophie und habe z.B. in Politik und Amerikanischer Geschichte viel gelernt. Im Umgang mit seinen Mitmenschen wurde immer auf Respekt und Höflichkeit geachtet. Es wurden dafür immer sowohl finanzielle als auch fachliche Mittel, seitens der Schule bereitgestellt. Diese bestanden für Kinder aus ärmeren Verhältnissen in warmen Mahlzeiten. Jedem Schüler stand ein Berater zur Verfügung, dessen Aufgabenbereich nicht nur die schulische Leistung und die Karriere war, sondern auch die persönlichen Probleme seiner Schützlinge.
Football, Eishockey, Ringen
Nach jedem Schultag ging es mit der von einem gewählten Aktivität weiter. Man konnte sich künstlerisch, im Theater oder der Band, aber auch organisatorisch in der Schülervertretung engagieren. Meine Wahl fiel wie schon angedeutet auf den Sport. Meine Saison im American Football ging mit dem von allen entgegen gefiebertem "Cushman Classic" Spiel zu Ende, bei dem sich die zwei Schulen der Stadt gegenüberstanden. Auf der einen Seite die Central Knights und wir, die Red River Roughriders auf der anderen. Unser Team gewann das Spiel mit großem Vorsprung, was uns alle sehr stolz machte. Der Winter, der schneller kam als erwartet wurde von allen als sehr mild beschrieben. Mit minus 30 Grad war es schon ziemlich kalt. Diese Kälte führte dazu, dass sich das Leben bis auf wenige Dinge nach drinnen verlagerte. Die größte Sportart im Winter war hier im Norden Eis-Hockey. Dank dem Einfluss einiger Freunde habe ich mich jedoch dafür entschieden der Ringkampfmannschaft der Schule beizutreten. Ich investierte viel Zeit und Mühe in das Ringen und schaffte es sogar in das Varsity-Team (Hauptmannschaft) und zu dem Turnier des Bundesstaates North Dakota. Die Sportart in der ich mich im Frühling ausprobierte, war die dritte mir bis dahin unbekannte Sportart Lacrosse, welche mit vielen Reisen zu Turnieren in South Dakota verbunden war.
Neben sportlichen Aktivitäten engagierte ich mich vor allem in der Jugendarbeit, welche über eine der Kirchen in unserer Stadt organisiert wurde. Während der Weihnachtszeit haben mein Gastvater und ich Zeit damit verbracht, einem 1937 mit seiner Familie aus Deutschland geflohenen Mann deutsche Geschichten und Lieder vorzutragen. Da ihm sprechen zunehmend schwerer fiel drückte er seine Freude oft mit einem Lächeln oder einem Blick aus, welcher aufforderte weiterzulesen.
Beeindruckende Ausflüge
Das der Herbst so schnell an mir meiner Gastfamilie und meinen Freunden vorbeiflog, lag vor allem daran, dass wir jedes Wochenende etwas anderes unternahmen. Mal schauten wir uns die Umgebung an oder wir fuhren in die umliegenden nächst größeren Städte. Fargo, Minneapolis und die Verwandtschaft in Jamestown besuchten wir häufig. Zu meinen Lieblingserinnerungen zählen Höhepunkte wie der Mount-Rushmore, einem Berg auf dem die Ebenbilder von US Präsidenten für die Ewigkeit in Stein gemeißelt sind, dem Yellowstone Nationalpark oder Chicago. Die Tage in Chicago werden mir immer in Erinnerung bleiben. Während unseres Aufenthaltes wurde die Stadt von einem Schneesturm überrascht. Der hielt uns nicht davon ab diese Tage voll und ganz zu nutzen. Wir begannen mit einer Bustour bei der man zu den Erzählungen der Fahrer, welche immer mit Humor und ihrer Kenntnis zu beeindrucken wussten, die Stadt erkundete und an verschiedenen Stationen aussteigen und auf eigene Faust weitermachen konnte. So konnten wir uns mit der gesamten Innenstadt vertraut machen, sowie einige der äußeren Bezirke sehen. Wenn man in Chicago ist kommt man nicht an dem Willis Tower vorbei, einem der höchsten Gebäude der Welt. Wieder zurück in North Dakota feierten wir ein wunderbares Silvester und Neujahr. So flog auch der Frühling vorbei. Mit meinen Freunden und meiner Gastfamilie hatte ich weiterhin viel Spaß bei allem was wir unternahmen, sowohl den außergewöhnlichen als auch den alltäglichen Dingen.
Ich freue mich und bin dankbar, dass Frau Dr. Ute Finckh-Krämer mir ermöglichte, am Parlamentarischem Patenschaftsprogramm teilzunehmen. Dadurch habe ich eine neue Kultur, ganz besonders den amerikanischen Lebensstil und deren Toleranz kennengelernt. Sehr viel Glück habe ich gehabt, mit einer großartigen Gastfamilie, die mich als Teil von ihnen aufnahm. Wir haben bis heute viel Kontakt und ich plane sie nächsten Sommer zu besuchen.
Weiterhin fiel es mir einfach Freunde zu finden, wir waren zu sechst und immer für einander da. Das ist auch bis heute so geblieben. Während des Auslandsaufenthaltes habe ich nicht nur vieles kennen und schätzen gelernt, wie z.B. Sprache und Mitmenschen, sondern hatte auch die Möglichkeit, mich in vielen Bereichen weiter zu entwickeln. Darüber hinaus habe ich Unabhängigkeit, Selbstsicherheit und die Fähigkeit der Empathie besser kennengelernt. Aus diesen Gründen würde ich das Parlamentarische Patenschaftsprogramm jedem empfehlen.
Mir werden die Erlebnisse und Erinnerungen immer im Gedächtnis bleiben, dies war für mich ein perfektes Jahr.
Jonah Mostler