"Ein fatales Zeichen"

28.01.2016: Dr. Ute Finckh-Krämer kritisiert in ihrer Rede zu Saudi-Arabien die öffentliche Berichterstattung und den daraus resultierenden Eindruck, dass die wirtschaftlichen Beziehungen wichtiger genommen werden als zentrale Menschenrechte im Land


Plenarsitzung des Deutschen Bundestags
152. Sitzung vom 28.01.2016

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss)

  • zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE.
  • Raif Badawi sofort freilassen - Völkerrechtswidrige Strafen in Saudi-Arabien abschaffen
  • zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ja zur Meinungsfreiheit, nein zur Folter - Menschenrechte in Saudi-Arabien schützen,
  • Raif Badawi freilassen

Drucksachen 18/3832, 18/3835, 18/5450

Bitte lesen Sie auch die Empfehlungen zur Einzelfallarbeit für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure in Deutschland, aus denen Dr. Ute Finckh-Krämer zitiert: Global Public Policy Institute: Politische Gefangene befreien (PDF)

Rede von Finckh-Krämer, Dr. Ute (SPD)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribünen!

Ziemlich genau vor einem Jahr haben wir die beiden Anträge zum ersten Mal diskutiert, und vor etwa zwei Wochen das Thema "Menschenrechte in und Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien" in Aktuellen Stunden behandelt.

Raif Badawi und sein Anwalt Walid Abu al-Chair sind immer noch in Haft. Dass die Prügelstrafe gegen Badawi weiterhin ausgesetzt ist, ist ein schwacher Trost, auch wenn wir uns darüber freuen. Besorgniserregend sind dagegen die 47 Hinrichtungen Anfang Januar, bei denen mit dem schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr jemand hingerichtet wurde, der sich ausdrücklich für friedliche politische Proteste eingesetzt hatte.

Es ist daher absolut unpassend, wenn in einem aktuellen Hintergrundbericht über Saudi-Arabien in der Wirtschaftswoche vom 15. Januar dieses Jahres versucht wird, die Hinrichtungen und den Krieg im Jemen folgendermaßen zu erklären - ich zitiere -: "Dass Saudi-Arabien derzeit so wild um sich schlägt, ist auch ein Zeichen seiner ökonomischen Krise", und dann kein weiteres Wort über die Menschenrechtssituation im Land verloren wird. Denn wir können getrost davon ausgehen, dass die saudische Regierung nicht nur wahrnimmt, wie im Bundestag über ihr Land diskutiert wird, sondern dass sie auch die Berichterstattung in den deutschen Medien verfolgt. Die Wirtschaftswoche profitiert hier ganz selbstverständlich von der Pressefreiheit. Wenn in ihrem Bericht nicht erwähnt wird, wie schlecht es um die Meinungs- und Pressefreiheit in Saudi-Arabien bestellt ist, entsteht bei der saudischen Regierung der Eindruck, dass die wirtschaftlichen Beziehungen wichtiger genommen werden als zentrale Menschenrechte in ihrem Land. Das ist ein fatales Zeichen.

Wir wären wohl alle froh, wenn wir als Bundestag die Macht hätten, die sofortige Freilassung nicht nur von Raif Badawi und Walid Abu al-Chair durchzusetzen, sondern auch die von allen anderen politischen Gefangenen in Saudi-Arabien.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Leider haben wir diese Macht nicht. Also stellt sich die Frage, was wir als Abgeordnete zur Unterstützung politischer Gefangener tun können. Das Berliner Global Public Policy Institute, GPPI, hat sich im letzten Herbst auf einer Fachtagung mit dieser Frage beschäftigt. Die ausführliche Tagungsdokumentation enthält konkrete Empfehlungen an den Deutschen Bundestag, die ich im Folgenden vorstellen und kommentieren möchte.

Erste Empfehlung - Zitat -:

Öffentliche Stellungnahmen einzelner Ausschüsse zu Fällen politischer Haft sowie Anträge zur Abstimmung im Bundestag sollten fraktionsübergreifend getragen werden, damit ein deutliches politisches Signal an Entscheidungsträger im Ausland gesandt wird.

Es ist also schade, dass es vor einem Jahr keine Versuche gab, einen fraktionsübergreifenden Antrag zustande zu bringen, sondern stattdessen zwei Oppositionsanträge vorgelegt wurden.

Zweite Empfehlung - Zitat -:

Alle Bundestagsabgeordneten sollten das Programm "Parlamentarier schützen Parlamentarier" des Menschenrechtsausschusses unterstützen und mindestens eine Patenschaft übernehmen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Auswahl der Einzelfälle

so die Empfehlung weiter

kann nach eigenen geographischen und inhaltlichen Interessen erfolgen, wobei sich die Abgeordneten bemühen sollten, besonders gefährdete politische Gefangene zu priorisieren. Dabei muss die wohlinformierte Einwilligung nach erfolgter Aufklärung ("informed consent") stets gesichert sein.

Derzeit haben von uns 630 Abgeordneten 50 eine oder mehrere Patenschaften für politisch verfolgte Parlamentsabgeordnete, Journalistinnen bzw. Journalisten oder Menschenrechtsverteidigerinnen bzw. Menschenrechtsverteidiger übernommen. Wir alle können in unseren Fraktionen dafür werben, dass diese Zahl deutlich ansteigt.

Dritte Empfehlung:

Auf Auslandsreisen in Länder, in denen politische Haft systematisch als Machtinstrument eingesetzt wird, sollten Bundestagsabgeordnete nicht nur Einzelfälle in ihren Gesprächen mit Regierungsvertreterinnen ansprechen. Sie sollten vielmehr auch um Besuchstermine im Gefängnis oder bei unter Hausarrest stehenden Personen bitten und bei der Übernahme einer Patenschaft wenn möglich auch Prozessen beiwohnen.

Das ist sicher nicht immer mit unseren Zeitplänen und Reisezielen vereinbar, könnte aber in Einzelfällen hilfreich sein, gerade dann, wenn politischen Gefangenen andere Besuche verweigert werden.

Vierte Empfehlung:

Wo erforderlich sollten deutsche Bundestagsabgeordnete auf eine bessere medizinische Versorgung, die Ermöglichung von Familienbesuchen oder andere Hafterleichterungen drängen. Die deutsche Botschaft vor Ort sollte vorab die betroffene Person oder ihre Familie nach Bedarf aufklären und die notwendige Zustimmung einholen.

Diese Empfehlung ist fast eine Selbstverständlichkeit: Keine Alleingänge machen, sondern die Betroffenen und ihre Familien einbeziehen, die Vor- und Nachteile eines Appells von außen besser abschätzen können als wir, was allerdings dann schwierig wird, wenn - wie im Fall von Raif Badawi - Ehefrau und Schwester unterschiedliche Standpunkte vertreten.

Die fünfte Empfehlung bezieht sich darauf, dass auch das Bundestagspräsidium vor Auslandsreisen überlegen soll, was es zur Unterstützung politischer Gefangener tun kann.

Die sechste Empfehlung betrifft wieder uns alle - Zitat -:

Die Menschenrechtspolitik darf nicht ausschließlich an den Menschenrechtsausschuss delegiert werden.

Das unterstütze ich nachdrücklich, ebenso die Forderung, vor Auslandsreisen frühzeitig Kontakt zu geeigneten Menschenrechtsorganisationen aufzunehmen.

Auch der siebte Vorschlag könnte von einigen von uns umgesetzt werden:

… Abgeordnete mit … Erfahrungen in der Einzelfallarbeit sollten parteiübergreifend bei jüngeren Bundestagsabgeordneten für ein aktiveres Engagement für politische Häftlinge werben, von Erfolgen berichten und, wenn erwünscht, auch individuelles Coaching anbieten.

Auch der regelmäßige "Erfahrungsaustausch auf der Mitarbeiterebene" kann unser Engagement für politische Gefangene verstärken.

Das alles bezieht sich nicht nur auf politische Gefangene in Saudi-Arabien. Viele von uns setzen sich für den iranischen Menschenrechtsanwalt Abdolfattah Soltani ein, der durch die originelle Facebook-Aktion "Kochen für Soltani", die von seiner in Nürnberg lebenden Tochter ins Leben gerufen wurde, weltweit bekannt geworden ist. Wir freuen uns darüber, dass er eine Woche Hafturlaub erhalten hat, denken aber an die vielen politischen Gefangenen im Iran, die weniger bekannt sind als er. Wie in Saudi-Arabien gibt es im Iran jährlich Hunderte von Hinrichtungen, darunter auch von zur Tatzeit Minderjährigen. Ähnliches gilt für Ägypten oder Pakistan.

Von den Vorschlägen der erwähnten Fachtagung, die Mitglieder der Bundesregierung betreffen, möchte ich einen herausgreifen. Er lautet - Zitat -:

In Gesprächen über einzelne politische Gefangene hinter verschlossenen Türen sollte die Bundesregierung immer kritischer auftreten als in der Öffentlichkeit.

Außenminister Steinmeier war gestern in der Sitzung des Menschenrechtsausschusses und hat dabei unter anderem dargelegt, welche Fälle politischer Gefangener er im vergangenen Jahr in vertraulichen Gesprächen angesprochen hat. So verlockend es im Einzelfall sein kann, sich öffentlich zu äußern; oft ist es politisch unklug, weil es eine gesichtswahrende Richtungsänderung der betreffenden Regierungen erschwert.

Ich hoffe, dass Außenminister Steinmeier bei seiner bevorstehenden Reise nach Saudi-Arabien und in den Iran die genannten und weitere Fälle ansprechen kann. Meinungs- und Pressefreiheit, das Verbot der Todesstrafe und andere menschenrechtliche Errungenschaften wurden in der deutschen und in der europäischen Geschichte mühsam erkämpft und sind Teil unserer politischen Kultur geworden. Wir können auf ihre Vorteile verweisen und andere ermutigen, unserem Beispiel zu folgen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

"Das Parlament" befasst sich unter der Überschrift Freiheit für Raif Badawi mit der Debatte vom 28. Januar 2016 über die Menschenrechte in Saudi-Arabien und zitiert u.a. Ute Finckh-Krämer, die zum Thema Unterstützung politischer Gefangener gesprochen hatte: www.das-parlament.de
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