Dialog mit Russland

23.09.2016: Rede von Dr. Ute Finckh-Krämer anlässlich des bevorstehenden 10. Jahrestags der Ermordung Anna Politkowskajas - 22. September 2016, 190. Sitzung des Deutschen Bundestages


Dr. Ute Finckh-Krämer hat am Donnerstag, den 22. September zum Tagesordnungspunkt 13 (Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10. Jahrestag der Ermordung Anna Politkowskajas- Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern in Russland zur Seite stehen - Drucksache 18/9673) gesprochen. Die Videoaufzeichnung kann hier direkt angesehen werden:


Im Plenarprotokoll kann die gesamte Debatte nachgelesen werden. Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen steht hier zum Download bereit.

Wortprotokoll der Rede:

Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Besuchertribüne!

Über die Leistungen von Anna Politkowskaja als Journalistin, über ihren Mut und ihre hohe Professionalität ist schon viel gesagt worden. Insofern möchte ich mich jetzt in meiner Rede auf das konzentrieren, was wir tun können - nicht nur durch direkten Protest, sondern auch indirekt durch Kontakte und Angebote an diejenigen in Russland, die gerne mit Deutschland und mit der Europäischen Union zusammenarbeiten -, um etwas zu verändern.

Ich möchte zunächst daran erinnern, dass nicht nur, was mich sehr freut, heute Swetlana Gannuschkina als eine der diesjährigen Preisträgerinnen des Right Livelihood Award, also des Alternativen Nobelpreises, benannt wurde, sondern dass letztes Jahr der Europarat den Vaclav-Havel-Menschenrechtspreis ebenfalls einer Russin verliehen hat. Die Rede von Ludmilla Alexejewa letztes Jahr in Straßburg hat mich sehr beeindruckt, weil sie nämlich in einem guten Teil ihrer Rede darüber gesprochen hat, warum für sie Russland ein europäisches Land ist und warum sie sich als Europäerin fühlt. Swetlana Gannuschkina wird für etwas geehrt, was auch im besten Sinne eine europäische Leistung ist. Sie wird dafür geehrt, dass sie seit 1990 mehr als 50 000 Migrantinnen und Migranten, Flüchtlingen und Binnenvertriebenen in Russland geholfen hat. Damit fühlen sich, glaube ich, diejenigen von uns, die hier in Deutschland für eine Unterstützungskultur und für Willkommensbündnisse eintreten, ihr sehr nahe. Deswegen freut es mich besonders, dass sie diesen Preis erhalten hat.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Russland ist seit vielen Jahrhunderten zweifellos Teil des europäischen Kulturraums. Es gibt viele Menschen dort, die sich wie Anna Politkowskaja, Ludmilla Alexejewa oder Swetlana Gannuschkina als Europäerinnen und Europäer fühlen. Wir haben große Werke der russischen Kultur, auf die wir uns ganz selbstverständlich hier beziehen. Ich möchte als ein Beispiel den großen Roman Krieg und Frieden von Lew Tolstoi nennen, der Pazifist war und sich damit jedenfalls in einer europäischen Tradition des Pazifismus sah und der in der russischen Originalausgabe ganze Textteile auf Französisch, auf Englisch und auf Deutsch geschrieben hat, weil er diese drei europäischen Sprachen fließend beherrschte. Ich finde das sehr eindrücklich und würde mir wünschen, dass jemand den Mut hat, ein deutsches Buch zu schreiben, das mit russischen Textteilen versehen ist.

Die Ostpolitik Willy Brandts und Egon Bahrs hat den Raum für die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geöffnet. Die Schlussakte von Helsinki hat drei Körbe, den Korb "Gemeinsame Sicherheit", den Korb "Wirtschaftliche Zusammenarbeit" und den Korb "Menschenrechte". Sie gehören zusammen, und deswegen begrüße ich es besonders, dass unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier gerade eine neue Initiative für Gespräche über konventionelle Rüstungskontrolle in Europa angeboten hat. Ich glaube, damit können und wollen wir im Rahmen der deutschen OSZE-Präsidentschaft ein Angebot machen, das auch russische Gesprächspartner interessieren könnte. In der Menschenrechtssäule haben wir uns in Deutschland sehr oft stärker auf die klassischen Menschenrechte des Zivilpaktes konzentriert und manchmal etwas weniger die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Menschenrechte des Sozialpaktes in den Vordergrund gerückt. Es könnte eine Möglichkeit sein, im Dialog mit Russland neben den Menschenrechten, die in dem Antrag der Grünen angesprochen sind, auch die sozialen Menschenrechte zu einem neuen Ansatzpunkt für Dialoge zu machen, auch und gerade wegen der Dinge, die zur gewachsenen Armutsquote in Russland genannt wurden.

Interessant finde ich auch, dass kürzlich die Vorsitzende des Föderationsrates der Russischen Republik, Valentina Iwanowna Matwijenko, angekündigt hat, dass Russland gerne in die Parlamentarische Versammlung des Europarates zurückkehren würde. Das ist ein Gesprächsangebot- so verstehe ich das - an die, die in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates mit darüber entscheiden, ob im Januar die Credentials der Russen anerkannt werden oder nicht.

(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Diejenigen von uns, die in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates aktiv sind, sollten das wiederum zum Anknüpfungspunkt nehmen, um mit denjenigen aus der Duma, die eine Rückkehr der Russen wünschen, ins Gespräch über Menschenrechte zu kommen; denn das ist eines der Kernthemen des Europarates.

(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Auch Kultur ist ein verbindendes Element. Es war daher aus meiner Sicht gut und richtig, dass 2014/2015 in dieser angespannten Situation Deutschland das Jahr der deutschen Sprache und Literatur in Russland nicht abgesagt hat und umgekehrt das Jahr der russischen Sprache und Literatur in Deutschland parallel geführt wurde; denn das ergab genau einen Teil der Dialogmöglichkeiten, die wir suchen und wünschen.

Das gilt auch für die Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Aus meinem eigenen Wahlkreis kann ich als Beispiel das Deutsche Archäologische Institut anführen, das mit russischen Archäologen zusammenarbeitet. Es gibt aber auch trilaterale Formate der Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken.

Des Weiteren gibt es die Arbeit des Goethe-Institutes in Russland und die der russischen Kulturzentren in Deutschland. In diesem Zusammenhang ist zum Beispiel- das ist nicht weit weg von hier - das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur in der Friedrichstra- ße zu nennen. Außerdem gibt es Schulen mit vertieftem Deutschunterricht in Russland, zwei Auslandsschulen sowie 84 Schulen, die das deutsche Sprachdiplom verleihen können. Umgekehrt gibt es in Deutschland Schulen mit vertieftem Russischunterricht. Diese tragen genauso zur Vertrauensbildung zwischen Menschen aus beiden Ländern bei wie die Einrichtungen für russischsprachige Menschen in Deutschland, von denen es auch in meinem Wahlkreis welche gibt. Das Gleiche gilt auch für das Deutsch-Russische Haus in Moskau, das Angebote für die deutschsprachige Minderheit in Russland bereithält. Auch Städtepartnerschaften spielen für die Beziehungen zu Russland eine wichtige Rolle. 98 Städte und Gemeinden in Deutschland haben Partnerschaften mit Städten oder Gemeinden in Russland. Es haben aber auch 29 Städte und Gemeinden Partnerschaften zu Städten oder Gemeinden in der Ukraine. Die Zahl der Partnerschaften zu Städten und Gemeinden in Belarus beträgt 24. Damit machen wir deutlich, dass das nicht ein Instrument der einseitigen Ausrichtung auf Russland ist, sondern dass wir auch die europäischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion in ihrer ganzen Verschiedenheit im Blick haben.

Ich werde von denjenigen in meinem Wahlkreis, die russischsprachig sind - sie sind aus unterschiedlichen Gründen aus dem heutigen Russland nach Deutschland gekommen -, gelegentlich darauf angesprochen, dass es in Deutschland in der Mehrheit der Medien ein pauschal negatives Russlandbild gibt. Wir müssen daher aufpassen, dass sich alte Vorurteile nicht in neuem Gewand einschleichen, und wir müssen darauf achten, dass wir die über 140 Millionen Menschen in Russland als Individuen betrachten. Mit vielen von ihnen gibt es - je nachdem, wie ihr kultureller, bildungsmäßiger, politischer oder anderweitiger Hintergrund ist - eine Gemeinsamkeit. Wir dürfen nicht so tun, als ob die Russinnen und Russen eine einheitliche Masse sind.

So gesehen war es aus meiner Sicht auch ein Fehler, dass in den 90er-Jahren russische oder ältere sowjetische Abschlüsse derer, die nach Deutschland gekommen sind, nicht anerkannt wurden. Denn damit wurde - über Verwandte und Freunde - auch ein Signal nach Russland gegeben, dass wir das, was in Russland im Bildungs- bzw. Wissenschaftssystem geleistet wird, nicht voll anerkennen. Über das Internationale Parlaments-Stipendium des Deutschen Bundestages haben einige von uns auch russische Stipendiatinnen und Stipendiaten kennen gelernt. Auch das ist, glaube ich, ein Beitrag des Deutschen Bundestages zum Dialog bzw. zur Verständigung mit den Menschen in Russland.

Als Sozialdemokraten lehnen wir den Antrag ein Stück weit ab, weil in den Forderungen eben nur das Kritische angesprochen wird. Insofern schließen wir uns dem Ansatz an, den der Kollege von der CDU vorgetragen hat. Trotzdem aber bin ich dankbar, dass es diese Diskussion heute hier gibt. Ich möchte den Grünen dafür danken.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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