"Wir haben eine gewisse Chance"

20.10.2016: In der 196. Sitzung des Deutschen Bundestags hat Dr. Ute Finckh-Krämer über die juristische Aufarbeitung der Kriegsverbrechen in Syrien und im Irak, über Waffenstillstandsverhandlungen, Hilfskonvois und mögliche Luftbrücken in Syrien gesprochen - 196. Sitzung am 20.10.2016


Deutscher Bundestag 196. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 20. Oktober 2016 Tagesordnungspunkt 13:

a) Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr. Franziska Brantner, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht ungesühnt lassen - Drucksache 18/10031

b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Syrien - Luftbrücke einrichten, humanitäre Not lindern - Drucksache 18/9939

Sie können die Aufzeichnung der Rede hier ansehen:

Sie können die Rede auch im Plenarprotokoll nachlesen, ebenso wie die anderen Reden der Debatte: dipbt.bundestag.de

Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen!

Ich glaube, wir sollten festhalten, an welchen Punkten wir uns wirklich einig sind. Wir sind uns einig, dass in Syrien Völkerrechtsverbrechen geschehen. Wir sind uns einig, dass, wenn ein Waffenstillstands- und Friedensprozess in Syrien beginnt, der Zeitpunkt gekommen ist, darüber zu reden, wie man mit diesen Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafrecht oder nach einem in Syrien entwickelten Modell umgehen muss. Wir sind uns einig, dass es im Augenblick sinnvoll ist, zu dokumentieren, was wir von hier aus dokumentieren können. Darum geht es in dem einen Antrag, der uns vorliegt. Darüber werden wir im Menschenrechtsausschuss, wenn er dorthin überwiesen wird, mit Sicherheit sachlich diskutieren können.

Es gibt einen anderen Antrag, über den heute abgestimmt wird. Ich bin ein klein bisschen irritiert, Wolfgang Gehrcke, weil die Linke diesen Antrag im Menschenrechtsausschuss abgelehnt hat. In diesem Antrag steht einerseits sehr viel Richtiges dazu, wie notwendig humanitäre Hilfe ist. Andererseits wird eine Einzellösung in den Vordergrund gestellt, nämlich die Einrichtung einer Luftbrücke. Ich finde es richtig, dass Frank-Walter Steinmeier im August gesagt hat: Wir prüfen, ob Luftbrücken eine Möglichkeit sind, um mehr Menschen humanitär versorgen zu können, als das zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist. Aber eine Prüfung kann auch ergeben, dass es nicht funktioniert.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss er sagen!)

Ich war mit mehreren Kolleginnen und Kollegen von der AG Menschenrechte der SPD am 19. September in Genf. Wir haben dort mit Vertretern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz gesprochen, die sehr skeptisch waren, was mögliche Luftbrücken angeht. Es gibt zwar Einzelfälle, in denen das funktioniert hat. Aber das waren Gebiete, in denen relative Sicherheit herrschte und man davon ausgehen konnte, dass die Flugzeuge nicht abgeschossen werden. Wir haben auch mit Vertretern der Vereinten Nationen aus dem Bereich "humanitäre Hilfe" gesprochen; sie waren ebenso skeptisch. Sie hatten ganz andere Sorgen. Ihre Sorge war: Reicht das Geld, das das World Food Programme, die Vereinten Nationen und die internationalen Hilfsorganisationen bekommen, die noch Zugänge nach Syrien haben, zum Teil über den syrischen Roten Halbmond, deren Mitarbeiter in den Flüchtlingslagern in der Türkei und im Libanon arbeiten? Bekommen sie auch genügend diplomatische Unterstützung für die Zugänge, die sie gerne haben wollen?

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Frau Finckh-Krämer, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Franziska Brantner zu?

Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Ja.

Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie weisen auf ein anderes, ebenfalls richtiges Problem hin, nämlich dass die Mittel für das World Food Programme und andere Organisationen nicht ausreichen. Wie stehen Sie dazu, dass der Haushaltsansatz der Bundesregierung für 2017 unter dem liegt, was 2016 schon nicht gereicht hat, und daher Millionenbeträge fehlen? Das müsste man angehen. Da sind wir gar nicht gegen Sie. Das schließt einander nicht aus.

Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD): Ich habe erst gestern das letzte Mal gesagt, dass wir als SPD dafür kämpfen, dass der Haushaltsansatz für 2017 mindestens so hoch ist wie im Jahr 2016. Diese Bitte haben wir übrigens auch aus Genf mitgebracht. Wir haben diesen Wunsch an die Kolleginnen und Kollegen der CDU und an unsere Haushälterinnen und Haushälter weitergegeben. Vielleicht ist eine Folge dieser Diskussion, dass dem Wunsch von unseren Haushälterinnen und Haushältern entsprochen wird. Da bin ich für jede Unterstützung dankbar.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verschenken Monate an Planungssicherheit für die Hilfsorganisationen! Damit wird alles teurer! Die Flugzeuge, die Nahrungsmittel, alles wird teurer!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich möchte darauf hinweisen: Sie können Zwischenfragen stellen statt dazwischenzurufen.

Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Wenn wir mit dem Bundeshaushalt für 2017 den gleichen Betrag verabschieden, wie wir ihn für 2016 hatten, verschenken wir nichts in der Planungssicherheit. Das entsprechende Referat im Auswärtigen Amt kann und darf nämlich erst dann planen, wenn der Bundeshaushalt verabschiedet ist, und nicht schon dann, wenn er eingebracht ist oder wenn irgendwelche Beschlüsse im Auswärtigen Ausschuss gefasst wurden, diesen Etat zu erhöhen. Erst mit Verabschiedung des Bundeshaushaltes können Gelder zugewiesen werden. Vorher können Gelder aus Verpflichtungsermächtigungen zugewiesen werden, die im jetzigen Haushalt eingestellt sind. Insofern verschenken wir nichts, wenn es im November beschlossen wird, und dafür werben wir ja mit allen Möglichkeiten. Dafür habe ich gestern geworben, und dafür werbe ich heute. Ich hoffe, dass die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU uns dabei unterstützen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich habe gesehen, unser Ausschussvorsitzender und auch der Fachberichterstatter haben geklatscht. Wir haben also eine gewisse Chance.

Luftbrücken sind immer die teuerste und die riskanteste Möglichkeit. Weil wir tatsächlich die Möglichkeit haben, mit Putin, mit Russland über humanitäre Zugänge nach Ost-Aleppo zu verhandeln, dann ist es auf jeden Fall besser, über Zugänge mit Hilfskonvois zu verhandeln als über eine Luftbrücke. Insofern bin ich auch froh und dankbar, dass gestern Abend und heute Nacht in Berlin nicht nur über die Ukraine gesprochen wurde, sondern auch über die Situation in Syrien. Manche Dinge, über die gesprochen wird, bleiben zu Recht vertraulich. Ich weiß also nicht, wie viel von dem, was an Ergebnissen zu Syrien erzielt wurde, die Bundesregierung an die Öffentlichkeit gibt. Aber es ist verhandelt worden.

Insofern hoffe ich, dass es auf dieser Ebene möglichst viele Verhandlungen geben wird. Vielleicht sind es auch manchmal vertrauliche Verhandlungen, vertrauliche Verhandlungen zu humanitären Zugängen, zum Beenden von Luftangriffen, zum Einhalten von Waffenstillständen und zum Einhalten von Versprechen, nicht zu bombardieren, deren Ergebnisse nicht gleich am Pult des Deutschen Bundestages verkündet werden können. Es ist klar: Das wird auf allen Ebenen verhandelt. Da sind im Auswärtigen Amt viele Leute dran, und damit ist auch Frank-Walter Steinmeier tags und manchmal auch nachts beschäftigt.

Aber es ist nicht so, dass jetzt ein Einzelpunkt wie eine Luftbrücke herausgegriffen und als Lösung des Problems aufgefasst werden kann.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es könnte eine Lösung sein!)

Es gab ja zwei Luftbrücken, da wo es sicherheitstechnisch möglich war und wo diejenigen, die belagert haben, in Verhandlungen nicht zugänglich waren. Insofern halte ich das durchaus für sinnvoll und fachlich angemessen, was unsere Bundesregierung und insbesondere das Auswärtige Amt dort macht.

(Beifall bei der SPD)

Insofern hoffe ich, dass wir durch die heutige Diskussion noch einmal mehr Unterstützung für eine Aufstockung des Etats für humanitäre Hilfe im Bundeshaushalt 2017 bekommen. Ich hoffe auch, dass wir im Menschenrechtsausschuss zu einer konstruktiven Diskussion über die Frage kommen, was wir von Deutschland aus tun können, um einen Beitrag zu einer juristischen Aufarbeitung der Kriegsverbrechen in Syrien und im Irak zu leisten.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

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